
In Hiroshima hat das dortige Bezirksgericht am 29. Juli ein bahnbrechendes Urteil im sogenannten "Schwarzer-Regen-Prozess" gefällt, mit dem mehr Atombomben-überlebenden als bisher der Status von Hibakusha zuerkannt wurde. Hibakusha sind aus Sicht des Staates anerkannte Strahlenopfer im Zusammenhang mit den Atombombenabwürfen vom 6. bzw. 9. August 1945 über Hiroshima und Nagasaki.
Die Stadt und die Präfektur Hiroshima haben - entgegen eigener Auffassung - auf Weisung der japanische Regierung wegen angeblich "fehlender wissenschaftlichen Grundlage" Berufung gegen das Urteil eingelegt. Die Kläger*innen sind aufgebracht.
Noch 75 Jahre nach dem Atombombenabwurf von Hiroshima am 6. August 1945 leiden zahlreiche Menschen an strahlenbedingten Erkrankungen. Wer in Hiroshima oder Nagasaki offiziell als Strahlenopfer, als Hibakusha, anerkannt ist, regelt ein Gesetz aus dem Jahr 1975. Demnach ist Strahlenopfer z.B., wer sich nach Abwurf der Bombe innerhalb einer 19 Kilometer langen und elf Kilometer breiten elliptischen Zone, dem sogenannten Gesundheitsuntersuchungs-Sonderbezirk (kenkô shindan tokurei kuiki 健康診断特例区域), befand.
Dagegen hatten 84 Betroffene geklagt, die dem radioaktiven Regen zwar ausgesetzt waren und von denen viele an Strahlenschäden zu leiden hatten und haben. Da sie sich zum Zeitpunkt des Bombenabwurfs aber in einem angrenzenden und als Schwachregenzone kategorisierten Bereich befanden, erkannte der Staat sie bislang nicht als Hibakusha an.
Diese Kategorisierung hatte das Bezirksgericht Hiroshima unter Vorsitz von Richter Takashima Yoshiyuki am 29. Juli für unzureichend erklärt. Auch Betroffene, die außerhalb einer sogenannten Starkregenzone dem radioaktiven Schwarzen Regen ausgesetzt waren, sind nach dem Urteil als Strahlenopfer, als Hibakusha, anzusehen, urteilten die Richter laut einem Bericht der Nachrichtenagentur Jiji. In seiner Urteilsbegründung sagte Richter Takashima, die Datenbasis für die Abgrenzung des damaligen sogenannten Starkregenbereichs auf der Basis von 1945 vorgenommenen Wetteruntersuchungen sei limitiert, für den äußeren Bereich würden lediglich äußerst dürftige Unterlagen vorliegen.
Bei der Beurteilung der Schädlichkeit des niedergegangenen Schwarzen Regens könne man nicht beim Starkregen aufhören, der kontaminierte Regen sei über ein größeres Gebiet niedergegangen. „Der Schwarze Regen beinhaltete radioaktive Partikel, die von der Atombombe stammen, sie waren geeignet, Gesundheitsschäden zu verursachen“, so die Richter weiter. Dadurch hätten die dem Regen ebenfalls ausgesetzten Kläger*innen einerseits durch äußere Kontaminierung Gesundheitsschäden davon tragen, andererseits durch die Aufnahme von Nahrungsmitteln und Wasser auch innere Verstrahlungen erleiden können", so das Gericht.
Da alle Kläger*innen im Verlauf ihres Lebens tatsächlich Erkrankungen entwickelt hätten, wie sie typisch sind für Betroffene, die den Atombombenabwurf überlebt haben, seien sie zu behandeln, wie andere von Radioaktivität betroffene Menschen, die bereits unter das Hibakusha-Hilfegesetz fallen. Mit der Entscheidung ist die Verpflichtung zur Ausstellung eines Gesundheitspasses für Atombombenüberlebende und kostenlose medizinische Versorgung bei typischen Strahlenerkrankungen verbunden.
Die Stadt und die Präfektur Hiroshima hatten zunächst noch Bereitschaft geäußert, das Urteil anzuerkennen und an die Regierung appelliert, von einer Berufung abzusehen. Bereits vor dem Prozess hatte beide aufgrund eigener Untersuchungen erklärt, die staatlicherseits festgelegten Gebiete, in denen in Folge des Atombombenabwurfs vom 6. August 1945 radioaktiver sogenannter Schwarzer Regen zu nachweisbaren Schäden führte, ausweiten zu wollen.
Der Staat hatte auf die Forderung Hiroshimas hin, von einer Revision abzusehen, im Gegenzug erklärt, die Einrichtung der sogenannten Hilfszone noch einmal einer Überprüfung zu unterziehen. Dass dies jedoch ernsthaft geschehen soll und dass dabei womöglich noch viel mehr Überlebende eine amtliche Beglaubigung ihres lebenslangen Leides erhalten könnten als nur die Mitglieder der Gruppenklage, glaubt jedoch kaum jemand. Der Staat wäre gerade angesichts des Urteils besonders gehalten, eine nochmalige Überprüfung von sich aus ohnehin vorzunehmen.
Die im Schnitt über 82-jährigen Kläger*innen zeigten sich laut der Onlineausgabe der Mainichi Shimbun (12. August 2020) „wütend und enttäuscht“:„Der Staat will uns hinhalten“, „Sie warten ab, bis wir alle tot sind“, so äußerten sich aufgebrachte Vertreter der Kläger*innen-Gruppe, die sich ein Ende des Verfahrens herbeigesehnt hatten. Viele leiden nicht nur unter den gesundheitlichen Folgen des Atombombenabwurfs, sondern auch unter der Marginalisierung ihres Leids durch den japanischen Staat. Neun von ihnen sind im Verlauf des mehrjährigen Verfahrens verstorben. Ihre Angehörigen führten stellvertretend die Klage fort.
Am 15. August verbreitete Japans Ministerpräsident Abe Shinzô über Twitter diese Botschaft: "Am 75. Jahrestag des Kriegsendes trauerten wir um die Geister aller Kriegstoten. 75 Jahre nach dem Krieg hat Japan als Land, das Frieden schätzt, konsequent Fortschritte gemacht."
Quellen:
Website der Vereinigung zur Unterstützung der Kläger*innen im "Black-Rain-Prozess"
https://blackrain1.jimdofree.com
Nachrichtenagentur Jiji Press, 29.Juli 2020:
https://www.jiji.com/jc/article?k=2020072900674&g=soc
Mainichi Shimbun, 29.Juli 2020 (Englische Version):
https://mainichi.jp/english/articles/20200729/p2a/00m/0na/015000c
Mainichi Shimbun, Online-Ausgaben vom 11. und 12. August 2020:
https://mainichi.jp/articles/20200812/k00/00m/040/294000c und
Yomiuri Shimbun, 12. August 2020:
https://www.yomiuri.co.jp/national/20200812-OYT1T50157/
Hintergrund:
Bundeszentrale für politische Bildung:
https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/69030/gedenken-in-japan-05-08-2010
広谷倉三さん(78)「勝訴でぬか喜びさせてもらっただけ。市長も知事も国に丸め込まれた」
— 蓮池透 (@1955Toru) August 12, 2020
国は我々の死を待っているのか 「黒い雨」訴訟原告 怒りと落胆 - 毎日新聞 https://t.co/m7FCTdYadf
僕は、
— Micro-現在!制限中😅 (@RobbyNaish77) August 12, 2020
貴方がこの国のトップであられる
ことこそが!筆舌に尽くしがたい。
黒い雨訴訟。
何故、国が控訴する?アホか😠 https://t.co/IDG74v1pzh
「黒い雨」訴訟で国が控訴する方針を明らかにする中、広島県原水協は「国は控訴断念し、一刻も早く救済せよ」の緊急宣伝を実施。平和団体や市民など30名が参加。控訴期限が明日(12日)に迫る中、被爆者をこれ以上苦しめるな!被爆者の声を聞け!#黒い雨裁判国は控訴するな! pic.twitter.com/t3Iba8tcEg
— 広島県原水協 (@vbzEcSv2qzvrEr8) August 11, 2020
判決は「黒い雨」が広範囲に降ったこと、内部被ばくによる健康被害の検討も必要と指摘。被爆者援護法の理念を踏まえ、幅広く救済することを求めた。
— 小池 晃(日本共産党) (@koike_akira) August 10, 2020
原告、被爆者の高齢化も進み、裁判は5年、その間16人もの原告が亡くなられた。
被爆者をこれ以上苦しめるな!
控訴するな!https://t.co/8Rdq3T031O
コロナ禍でよく聞いた(聞いている)「スピード感を持って」を、これだけ放ってきた案件に対しても使う。
— 武田砂鉄 (@takedasatetsu) August 12, 2020
加藤厚労相「(検証は)スピード感を持って作業をしたい」https://t.co/DFRlWcdxRy
75年の節目を迎えた終戦の日にあたり、すべての戦没者の御霊に対し、謹んで、哀悼の誠を捧げました。
— 安倍晋三 (@AbeShinzo) August 15, 2020
戦後75年、我が国は一貫して、平和を重んじる国として、歩みを進めてまいりました。 pic.twitter.com/eeYRNg732f
黒い雨訴訟「控訴の断念認めて」 広島市と県が国に要望 https://t.co/KJy5BECIIe
— 朝日新聞(asahi shimbun) (@asahi) July 31, 2020
Kommentar schreiben