Sendai, 12. März 2020: 216 Betroffene der Atomkatastrophe von Fukushima haben in einem Schmerzensgeldrozess gegen den Hauptverursacher der Atomkatastrophe von 2011, den Energieversorger Tôkyô Denryoku (TEPCO), in zweiter Instanz einen spektakulären Erfolg errungen. Die Kammer unter Vorsitz von Richter Kobayashi Hisaki bestätigte nicht nur Ansprüche für den Verlust der Heimat der Betroffenen, die zuvor erstinstanzlich das Bezirksgericht Fukushima, Zweigstelle Iwaki, festgesetzt hatte. Es sprach den von dem buddhistischen Mönch Hayakawa Tokuo (Vorschaufoto) aus Naraha-machi vertretenen Klägern darüber hinaus eine im Vergleich zum erstinstanzlichen Urteil um 149 Millionen Yen höhere Gesamtentschädigung von 760 Millionen Yen (ca. 6,3 Mio. Euro) zu.
Grundlage für die Entscheidung war die Einschätzung des Gerichts, dass der Energieversorger einen Tsunami, wie er sich 2011 erignete, schon Jahre zuvor habe voraussehen können. Es sei "in höchstem Maße bedauerlich", dass TEPCO Schutzmaßnahmen, wie sie z.B. von Bürgerinitiativen immer wieder angemahnt worden seien, nicht ausgeführt habe, so das Gericht. Bereits 2002 gab es wissenschaftliche Prognosen, die die Höhe der Wahrscheinlichkeit eines das Kraftwerk und seine Kühlsysteme bedrohenden Tsunamis berechneten. Die Unternehmensleitung ignorierte zunächst Warnungen der eigenen Ingenieure und verzichtete aus Kostengründen auf die gebotenen Schutzmaßnahmen.
Von den 216 Kläger*innen lebten zum Zeitpunkt des Unfalls 195 Menschen innerhalb der 20-Kilometer-Evakuierungszone (hinan shiji kuiki 避難指示区域), 21 in der sogenannten Notfall-Evakuierungs-Vorbereitungszone (kinkyû-ji hinan-junbi kuiki 緊急時避難準備区域, Zone zwischen 20 bis 30 km). Da die durch TEPCO geleisteten Zahlungen für die erlittenen seelischen Schäden zwischen 8,5 und 14.5 Mio Yen (ca. 70.000 bis 120.000 Euro) pro Betroffenem gemäß der staatlichen Richtlinien sowie die erstinstanzlich zusätzlich zugesprochenen Entschädigungen nicht ausreichend seien, hatten die Kläger höhere Zahlungen verlangt. Begründet wurde der Antrag u.a. damit, dass TEPCO sich der groben Fahrlässigkeit (jûkashitsu sekinin 重過失責任) schuldig gemacht habe.
Im März 2018 hatte das Bezirksgericht in Iwaki TEPCO zu Entschädigungszahlungen – zusätzlich zu den gemäß der staatlicher Richtlinien geleisteten Zahlungen – von 700.000 bis 1,5 Millionen Yen (5800 bis 12.500 Euro) pro Person verpflichtet. Das Gericht erkannte damals jedoch keine grobe Fahrlässigkeit im Verhalten des Energieversorgers. Gegen das Urteil von 2018 hatten beide Seiten Berufung eingelegt.
Onodera Toshitaka, Co-Vorsitzender der Klägeranwälte, sagte: "Dies ist eine bahnbrechende Entscheidung, die die Arglist von TEPCO bestätigt und auf das Leid von Opfern reagiert, die ihre Heimat verloren haben." Er forderte TEPCO auf, die Entscheidung zu akzeptieren und nicht in Berufung vor den Obersten Gerichtshof zu ziehen.
Rechtsanwalt Managi Itsutarô, Anwalt der derzeit ebenfalls vor dem Obergericht Sendai verhandelten knapp 4000 Menschen umfassenden Nariwai-Klage, der den Prozess beobachtete, sagte in einer Erklärung: "Es wurde anerkannt, dass TEPCO in der Lage war, den Tsunami vorherzusagen und mutwillig handelte, indem das Unternehmen Gegenmaßnahmen unterließ."
Rund 30 Prozesse dieser Art sind derzeit vor Japans Gerichten anhängig. In Sendai sprach nun erstmals ein Obergericht sein Urteil. In Kürze wird durch das Obergericht in Tôkyô ein weiteres Urteil in zweiter Instanz erwartet.
Quellen:
Shimbun Akahata: https://www.jcp.or.jp/akahata/aik19/2020-03-13/2020031315_01_1.html
Asahi Shimbun: https://www.asahi.com/articles/ASN3D55S9N38UGTB00C.html
Tokyo Shimbun: https://www.tokyo-np.co.jp/article/national/list/202003/CK2020031302000143.html
Mainichi Shimbun: https://mainichi.jp/articles/20200313/ddl/k07/040/125000c
Hintergrund zur Nariwai-Klage:
Nakajima Takashi (Vorsitzender der Nariwai-Klägervereinigung): "Wir wollen den Staat zwingen, die Atomkraft aufzugeben": https://www.andreas-singler.de/2018/11/02/vortrag-in-speyer-21-09-2018/
"A short message from Nakajima Takashi": https://www.andreas-singler.de/2019/06/26/a-short-message-from-nakajima-takashi/
3/12仙台高裁判決、原告側「勝訴」と評価。慰謝料を3項目に分け、ふるさと喪失慰謝料をはじめてはっきり認めた。東電の津波対策の責任を厳しく指摘し、慰謝料の算定要素とする。帰還困難区域については地裁判決通り、他の2区域は地裁判決+100万円。 pic.twitter.com/0JGbSYcwna
— 除本理史 (@ma_yoke) March 12, 2020
東電を被告としたいわき避難者訴訟の仙台高裁判決が出ました!
— izutaro managi (@IzutaroManagi) March 12, 2020
東電の責任を明確に認め、一審判決よりも賠償を増額させる良い判決でした!! pic.twitter.com/a9DTjaLoc0
Sendai High Court has ordered Tokyo Electric Power Co. to pay 730 million yen (USD 7 million) in damages to about 200 #Fukushima residents forced to be evacuated after the 2011 nuclear disaster.https://t.co/v01ahx9OZj
— Thoton Akimoto (@Thoton) March 13, 2020
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